Albrecht Dürer, der 1471 in Nürnberg

 Albrecht Dürer, der 1471 in Nürnberg als Sohn eines Goldschmiedes geboren wurde, hat seine Ausbildung als Maler in der Werkstatt des Michael Wolgemut erhalten. Die Holzschnitte des oben erwähnten Schatzbehalters von 1491 und der Schedelschen Chronik von 1493, die Wolgemut gemeinschaftlich mit seinem Stiefsohne Pleydenwurff ausgeführt hat, legen die Vermutung nahe, dass der junge Dürer hier auch in die Technik der graphischen Künste eingeführt worden sei, wenn er nicht sogar schon selber an der Arbeit für diese Holzschnitte teilgenommen hat. Sein frühester uns bekannter, für eine Baseler Offizin 1492 angefertigter Holzschnitt zeigt jedenfalls eine ausserordentlich grosse Verwandtschaft mit den besten Bildern des Schatzbehalters.

Ob auch der Kupferstich in Wolgemuts Werkstätte betrieben wurde, wissen wir nicht, sichere Nürnberger Arbeiten aus Dürers Jugendzeit sind nicht bekannt. Der junge Gesell hat aber ohne Zweifel die Blätter Martin Schongauers eifrig studiert und an ihnen seine Technik ausgebildet. Auch die Werke des Meisters E. S. und des Meisters des Amsterdamer Kabinetts sind ihm gewiss nicht unbekannt geblieben, und auf seiner Wanderschaft (1491—94) wird er manchem geschickten Stecher seine Handgriffe und Eigenheiten in der Behandlung der Kupferplatte abgesehen haben. Denn überall konnte er tüchtige Meister und talentvolle Gesellen eifrig bei der Arbeit finden. Man sollte deshalb nicht alle bedeutenderen Leistungen der gleichen künstlerischen Abstammung ohne weiteres dem jungen Dürer zuschreiben, wie man das mit den Baseler Holzschnitten zum Ritter von Turn, zum Narrenschiff und mit den Zeichnungen zum Terenz getan hat. Ein grosser Künstler kann nicht einsam herauswachsen aus einer Masse niederer Handwerker, nur im Wettstreite mit tüchtigen Talenten kann er zum Meister reifen. Neben dem alles überragenden Genius erzeugt die Zeit des Aufschwunges Talente in Fülle. Und keine Zeit war so reich an geistiger Anregung wie die Epoche der grossen Gärung vor der Reformation, die in ihrem stürmischen Drange nach unmittelbarer Aeusserung des natürlichen Empfindens, nach freier, ungebundener Mitteilung von Geist zu Geist der Entwickelung der graphischen Künste wie keine andere günstig war.

Ausser den uns bekannten Künstlern wie Schongauer, Wolgemut, dem Meister des Amsterdamer Kabinetts, wird Dürer ohne Zweifel noch manche andere, uns heute unbekannte Vorgänger und anregende und fördernde Mitschüler gehabt haben. Seine eigene formen- und gedankenreiche Kunst erhebt sich verhältnismässig spät zu vollständiger Selbständigkeit, nachdem sie wie durch einen chemischen Prozess alle damals mächtigen Kunstkräfte auf sich hatte wirken lassen. Dürer ist kein’frühreifes Talent gewesen, erst um 1500, als er schon die Hälfte seiner Lebensbahn durchmessen hatte, gewinnt er die volle, freie Herrschaft über seine Kunstmittel. Seine frühesten Zeichnungen und seine ersten Versuche im Kupferstich, wie das noch unbezeichnete „der Gewalttätige“ genannte, wohl eine Todesällegorie darstellende Blatt (B. 92), die Landsknechte mit dem Türken zu Pferde (B. 88)5 der Liebeshandel (B. 93 s. Abb.) und andere zeigen ihn zeichnerisch und technisch noch ganz in Schongauers Bahnen. Dann aber macht sich der Eindruck, den sein lebhafter, lernbegieriger Geist durch die Anschauung italienischer Kunst empfangen hatte, stärker bemerkbar. Eine Reihe von Zeichnungen bezeugen sein eingehendes Studium der Werke italienischer Meister, im besonderen der Kupferstiche Mantegnas, die er wahrscheinlich bei einem Aufenthalte in Venedig 1494 oder 1495 kennen gelernt hatte. In den Kupferstichen aus den letzten Jahren des XV. Jahrhunderts wiegen deshalb auch die antikisierenden Gegenstände vor. Er wagt es schon 1497 in den sogenannten „vier Hexen“, seinem ersten datierten Kupferstiche, nackte, weibliche Gestalten darzustellen. Einen bedeutenden Fortschritt in der Wiedergabe der Körperformen bekunden die wahrscheinlich nur wenig späteren Blätter, der Raub der Amymone (B. 71) und der „grosse Herkules“, auch die Eifersucht genannt (B. 73), eine mythologische, noch nicht befriedigend gedeutete Darstellung nach italienischen Vorbildern. Etwa gleichzeitig sind ferner der Spaziergang (B. 94), eine Todesphantasie, der verlorene Sohn (B. 28), die Madonna auf dem Halbmond (B. 30 s. Abb.) und die liebliche, italienisierende Madonna mit der Meerkatze (B. 42) mit dem von italienischen Stechern häufig kopierten Weiherhäuschen u. a. m.

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